Sonntag, 26. Oktober 2008

Was können wir aus der Finanzkrise für den Klimawandel lernen?

Mit Blick auf die Finanzkrise, die in den letzten Monaten in die Realwirtschaft schwappt, greift gerade die Neigung um sich, andere Probleme zu verdrängen. Der Zusammenbruch der Investmentbanken in den USA kostet gerade gut eine Viertel Million Menschen aus diesem Bereich die Jobs – ein großer Teil der Wallstreet verliert die Existenzgrundlage, da viele Recherche- und Analystenteams jetzt genauso wie die Mitarbeiter der betroffenen Banken nicht mehr benötigt werden. Der Einbruch der Baukonjunktur und die Schrumpfung der kreditfinanzierten Geschäfte (z.B. Autokäufe, Autoleasing) inklusive der Zulieferer bedrohen in den USA aber bereits mehr als eine Million Stellen. Schätzungen von 25 Millionen Entlassungen in betroffenen Branchen weltweit stehen im Raum, aber in Wahrheit ist die Dimension des anstehenden Wandels noch nicht klar. Für eine Kapitalismuskritik taugt das alles nichts, weil ja viele dieser Stellen erst auf der Basis einer Kreditwirtschaft ermöglicht wurden. Man kann schlecht freudig die vielen Jobs in Anspruch nehmen, die durch Investmentgeschäfte und kreditgetriebene Expansionen möglich werden und dann darüber schimpfen, daß eine so von Krediten getriebene Wirtschaft konjunkturelle Schwankungen hat, die sich manchmal stärker aufschaukeln können. Aber es gibt in solchen Situationen verzeihliche und dumme Fehler, und die dummen Fehler kann man vermeiden.

Als in den 70er Jahren in den USA die Regelungen gesetzt wurden, daß Schuldenmachen fürs Eigenheim ohne Reue möglich wurde (d.h. man hat das Recht, wenn der Wert des Hauses unter den Kredit fällt, das Haus der Bank zur Verwertung zu geben und damit den Kredit abzulösen), konnte man wohl nicht ahnen, daß dieses eines Tages die USA in eine Kreditblase treiben wurde. Aber wenn in den letzten Jahren zunehmend davor gewarnt wurde, daß die Situation auf den Kreditmärkten und die Abhängigkeit von unendlich steigenden Hauspreisen nicht mehr gesund ist (übrigens nicht nur in den USA, auch z.B. in Spanien und im Vereinigten Königreich gab es Immobilienblasen), hätten die Profis zumindest ihre Abhängigkeit von solchen heißgelaufenen Märkten schrittweise reduzieren müssen. Wie quälend langsam solche Abhängigkeiten über weitergereichte Kredite an Instituten auch in Deutschland zugegeben wurden, zu Abschreibungen führten, bis dann das Vertrauen an den Märkten gründlich ruiniert war, war sicher ein zusätzlicher Antrieb für den Abschwung. Es wird jetzt auch von vielen Seiten genau das kritisch gesehen, was die US-Notenbank unter Alan Greenspan betrieben hatte: Abschwünge durch frühzeitige und massive Geldmengenausweitungen abzufedern. Das führte zwar zu einem lange anhaltenden Boom in den USA, von dem natürlich auch unsere Exportwirtschaft profitiert hatte (was gerade auch gerne vergessen wird), aber es nährte auch immer wieder neue Blasen und unterdrückte das, wozu eigentlich Krise in der Marktwirtschaft gut sind: den Markt von ineffizienten Strukturen zu reinigen, nicht krisenfeste Betriebe pleite gehen zu lassen, damit gesunde Betriebe mehr Raum erhalten. Das erinnert an die Maßnahmen in der Forstwirtschaft, Waldbrände in Gebieten zu unterdrücken, wo sie von Natur aus gelegentlich vorkommen. Irgendwann hat sich soviel altes und totes Holz angesammelt, daß der unvermeidlich doch einmal auftretende Waldbrand so viel Material hat, daß er nun nicht nur den Wald aufräumt, wie der natürliche kleine Waldbrand, sondern ihn richtiggehend vernichtet und zum ökologischen Problem wird. Das Problem jetzt sind nicht untergehende Zocker, die es übertrieben haben, sondern daß an sich gesunde Unternehmen in einer extremen Krise mitgezogen werden. Auch das, was jetzt Greenspan als Fehler angelastet wird, war aus der damaligen Sicht nicht unbedingt so vorherzusehen. Man kann hoffen, daß die Lehre für die Zukunft verstanden wird, daß man in der Marktwirtschaft kleine Krisen auch mal zulassen muß, damit unter den Teppich gekehrte Probleme nicht irgendwann so groß werden, daß gleich der ganze Teppich fliegen geht.

Es gibt noch mehr, was ich verzeihen möchte, auch wenn vielleicht sachkundigere Personen das anders sehen. Island hat vor Jahren darauf gesetzt, daß es sich als internationaler Finanzplatz etabliert. Darauf hin sind agressiv kreditgetriebene Banken gewachsen, deren Bilanzsumme mehr als eine Größenordnung über dem Bruttoinlandsprodukt des Staates liegt. Die Strategie schien mal sinnvoll, um Island neben dem Fischfang ein zukunftssicheres Standbein zu verschaffen als eine Art Liechtenstein des Nordens. Im Nachhinein ist man dann schlauer und versteht, daß hier der Staat seinen eigenen Bankrott ermöglichte, denn Island kann natürlich jetzt die Schulden seiner, inzwischen verstaatlichten, Banken nicht mehr abdecken. Dumm wurde dieser Fehler vielleicht bereits, als man bei den ersten Krisenzeichen nicht mal abschätzte, was eine Bankenpleite für das Land eigentlich bedeuten könnte. Noch dümmer wirkt es allerdings, wenn man nun erfährt, wie massiv gerade deutsche Banken an die isländischen Banken geliehen hatten. Ca. 16 Milliarden Euro deutscher Kredite könnten eventuell abzuschreiben sein (unter anderem war das der Grund, daß die Bayerische Landesbank nun um staatliche Hilfe nachsuchte). Das an zweiter Stelle betroffene Land ist das Vereinigte Königreich mit ca. 4 Milliarden Euro. Wie konnten deutsche Banken sich nur so massiv in Island engagieren, wenn die ausgereichten Kredite doch noch nicht mal von der Realwirtschaft des gesamten Landes Island abgedeckt wurden? Versuchen Sie mal, von Ihrer Bank einen Kredit für den Kauf von Aktien für ein Vielfaches Ihres Vermögens und Ihres Jahreseinkommens zu erhalten. Da wäre es völlig egal, ob in Ihrer Kalkulation der erwartete Kursanstieg der Aktien den Kreditzins locker bezahlen würde. Aber die isländischen Banken durften das. Und nun drohen diese faulen Kredite deutsche Institute genauso mitzureißen, wie vorher die faulen Hypothekenkredite in den USA, die aus irgendeinem Grund deutsche Landesbanken, aber auch andere Institute mit besonderer Vorliebe gekauft hatten. Wenn Island fällt, reißt das im Dominoprinzip ausländische Banken mit.

Und es geht nicht nur um Island. Deutschland war auch der größte Kreditgeber in anderen Ländern, in denen sich Blasen aufgebaut hatten, nämlich Großbritannien, Irland und Spanien. Und es gibt weitere Länder, die schon vor dem IWF Schlange stehen, um Unterstützung zu erhalten. Ungarn ist das nächste Krisenland. Derzeit wertet die ungarische Währung massiv ab. Der Grund: Ungarn hat sein Wachstum vorwiegend auf Pump finanziert. Der Staat ist hoch verschuldet und zwar im Ausland, weil die eigene Wirtschaft zu schwach ist. Hier stehen erhebliche Abwertungen vor, die die ausländischen Investoren in Ungarn massiv treffen werden. Und wer investierte besonders gern in Ungarn?

Ein weiterer kippender Dominostein könnte Russland sein, dem gerade gleichzeitig die ausländischen Investitionen ausgehen, dessen Oligarchen sich teilweise verzockt haben und wo der Hauptdevisenbringer, das Erdöl, durch die weltweite Rezession einen Preisverfall erlebt. Was ist, wenn hier die, zugegeben noch großen, Devisenreserven aufgebraucht sind? Erst recht die Ukraine sieht sich vor Probleme gestellt, denn hier fehlen zusätzlich die hohen Devisenreserven, die die Verluste abfedern könnten. Wie sieht es überhaupt mit den Schwellenländern aus, die unserer Exportwirtschaft eigentlich zu Wachstum verhelfen sollten, die in der globalen Rezession aber den Preisverfall ihrer Rohstoffe erleben und gleichzeitig den Abzug des Auslandskapitals durchmachen müssen? Die Schwellenländer sind am weitesten von der Ursache der Krise, der Häusermarktblase in den USA entfernt. Trotzdem wird die globale Rezession hier die härtesten Opfer verlangen. Und über unsere Exportwirtschaft kommt auch das am Ende wieder bei uns an.

Jedes Unternehmen, das seine Insolvenz anmeldet, jede Bank die untergeht, jedes Land, das seine Kredite nicht mehr bedienen kann, reißt andere, die es vielleicht noch geschafft hätten, doch noch mit in den Untergang. Das ist die eigentliche Brisanz der Finanzkrise. Es ist ein Dominoeffekt, der nur aufgehalten werden kann, wenn schnell an möglichst vielen Stellen Dominosteine fixiert werden. Deshalb muß staatliches Geld notfalls sogar an schlimme Zocker ausgereicht werden, damit diese nicht in ihrem Fall auch gesunde Unternehmen mitreißen, auch wenn einem das gegen das innere Gerechtigkeitsgefühl geht. Und je später reagiert wird, desto teurer wird es. Jetzt ist die Zeit für staatliche Konjunkturprogramme, die der Realwirtschaft signalisieren, daß die Kreditklemme nicht auch noch von einer lange anhaltenden Rezession begleitet werden wird. Und damit kommen wir zu den dümmsten Fehlern, die man machen kann. Der dümmste Fehler ist, abzuwarten, weil man erst noch besser verstehen will, was passiert. In der Zeit läuft einem die Krise davon. Ein weiterer dummer Fehler ist es, in der Krise zu konsolidieren. Wenn die Hütte brennt, fängt man nicht an, sie feuersicher umzubauen, sondern man löscht erst mal. Jetzt also weitet man Schulden aus, gibt billiges Geld, investiert mit Staatsgeldern in der Wirtschaft, macht also alles das, was in normalen Zeiten falsch ist und gar die Blase vorher produziert hatte, die jetzt platzt. Weil nämlich die Alternative noch schlimmer ist, nämlich die Depression, wie es sie nach 1929 schon einmal gab.

Was hat das alles jetzt mit dem Klimawandel zu tun?

Ich hatte schon vorher auf das Problem hingewiesen, daß auch der Klimawandel einen Dominoeffekt nach sich ziehen kann, sogar auf mehreren Ebenen. Wenn Australien aufgrund anhaltender Dürren sich nicht mehr mit Nahrung versorgen kann, kann eigentlich der Rest der Welt als Nahrungslieferant einspringen. Wenn China aufgrund einer Wüstenausbreitung und des Verlustes großer Teile seiner Böden zunehmend auf Nahrungsmittellieferungen angewiesen ist, kann die Welt das auch auffangen. Wenn aber durch den Klimawandel an vielen Orten gleichzeitig Nahrungsmittel knapp werden, dann fangen die Dominosteine an, umzukippen. Es ist nämlich davon auszugehen, daß dann, wenn die Auswirkungen in China dramatisch spürbar werden, sie aller Wahrscheinlichkeit nach zugleich auch z.B. Indien und Südostasien treffen werden. Das heimtückische an einer Welternährungskrise ist, daß sie zu einem nicht vorhersagbaren Zeitpunkt und sehr plötzlich kommen wird. Obwohl wir also jetzt wissen, daß eine Ernährungskrise möglich ist, sind wir nicht in der Lage zu sagen, wann es sein wird. Dadurch sind wir aber auch nicht in der Lage, die Krise durch die vorsorgende Anlage von Vorräten abzufedern. Von einem Jahr auf das andere könnte plötzlich eine zuvor ausreichend versorgte Bevölkerung von Milliarden eine Nahrungsmittelknappheit erleben und darauf panisch reagieren.

Was danach passieren könnte, dürfte einfach unsere Vorstellungskraft sprengen. Gibt es Kriege um Nahrung oder Wasser? Keine Ahnung. Gibt es eine Massenflucht aus den Krisengebieten? Keine Ahnung. Werden die Weltmärkte so leer gekauft werden, daß hierzulande eine Hyperinflation einsetzt? Ich weiß es nicht. Das Szenario ist einfach unvorhersagbar, niemand will es vorhersagen, aber deshalb wird es auch nicht möglich sein, sich darauf vorzubereiten. Sicher ist aber, daß Europa sich hier nicht abkoppeln kann. Über die Weltmärkte oder Kriege oder den massenhaften Ansturm von Hungerflüchtlingen wird Europa auch dann betroffen sein, wenn die Auswirkungen des Klimawandels hierzulande moderat sind.

Wenn wir etwas aus der Finanzkrise lernen wollen, dann sollte es folgendes sein:

  • Man muß den schlimmsten Fall, der denkbar ist, in der Planung berücksichtigen, weil denkbare Fälle solche sind, die auch irgendwann eintreffen, weil wir in einer Welt leben, die nach und nach alle Situationen durchspielt, bis mal die kommt, bei der der schlimmste Fall eintreten kann. In diesem Fall heißt das, wir müssen eine Entwicklung berücksichtigen, bei der die Klimaänderung den dramatischsten Modellvorhersagen entspricht und die Folgewirkungen den schlimmsten Verlauf nehmen. Nicht, weil dies auch entfernt wahrscheinlich wäre, sondern deshalb, weil man es nicht absolut sicher ausschließen kann.
  • Ein gewisses Wissen darüber, was passieren könnte, kann zu einem falschen Eindruck führen, daß man die Situation beherrscht. Bei den riskanten Papieren wusste man, daß sie riskant waren, aber weil man dieses Risiko bewertet hatte, glaubte man, es sei beherrschbar. Den Dominoeffekt eines Fälligwerdens aller Risiken zugleich hatte man aber als zu unwahrscheinlich nicht berücksichtigt. Alle Klimaprognosen, Klimaschutzprogramme und Bewertungen der Klimafolgen dürfen die Entscheidungsträger, die Politiker, nicht dazu verführen zu glauben, das Problem sei damit schon beherrscht.
  • Man muß sich für zukünftige Risiken immer Risikopuffer schaffen. Die ersten Banken, die untergingen, waren die, die am stärksten auf hohen Profit getrimmt waren und mit der höchsten Kreditquote arbeiteten. Je mehr an Eigenkapital da ist, je mehr auch margenschwächeres Geschäft mit größerer Sicherheit zur Bank gehörte, desto sicherer standen die Banken da. Daß Deutschland trotz aller Fehler noch relativ stark dasteht, verdankt es der Tatsache, daß bei uns die Sparneigung groß ist, auch wenn dies immer zu Lasten unseres Wirtschaftswachstums ging. In der Klimapolitik heißt es, Vorsorgemaßnahmen für eine stärkere globale Temperaturerhöhung zu treffen, auch wenn dies erstmal hohe Kosten verursacht.
  • Die Schwellen- und Entwicklungsländer wird es weit härter treffen als uns, aber das heißt nicht, daß es Deutschland gar nicht trifft. Indirekt wird die Klimakrise doch wieder über eine globale Depression, über Flüchtlinge und politische Krisen auf uns zurückkommen. Wir müssen also aus eigenem Interesse Klimaschutz in den Schwellen- und Entwicklungsländern betreiben.
  • Man muß handeln, bevor die Krise eintritt und sogar, bevor jemand eine Krise für wahrscheinlich hält. Wir müssen jetzt die Emission von Treibhausgasen verhindern, nicht erst dann, wenn wir die Auswirkungen spüren. Dann ist es zu spät und wir würden der Krise hinterherlaufen. Je früher Maßnahmen getroffen werden, desto billiger sind sie, weil wir jetzt noch die Abläufe selbst steuern können. Wenn der Klimawandel voranschreitet und negative Klimafolgen eintreten, müssen wir Notmaßnahmen treffen und haben nicht mehr die Wahl, die besten Mittel auszuwählen. Bei einer solchen Krise sähe ich sogar unsere Verfassung in Gefahr, weil Politiker dann argumentieren würden, daß es um das nackte Überleben geht.

Die heutige Finanzkrise hat ihren Ursprung in einer politischen Entscheidung in der Carter-Ära vor 3 Jahrzehnten. In der Folgezeit sind viele Entscheidungen an verschiedenen Stellen erfolgt, die alle für sich genommen durchaus in ihrer jeweiligen Zeit sinnvoll erschienen. Im Zusammenwirken haben diese aber zusammen einen Ablauf aufgebaut, der innerhalb von einigen Monaten in eine Finanzkrise mit anschließender globaler Rezession führte bzw. noch führt, und nur dramatische Eingriffe aller Staaten, die vor wenigen Monaten noch als undenkbar galten, werden eine globale Depression abwenden, und auch das ist noch nicht völlig sicher. Wenn die Klimapolitik auf ihrem jetzigen Pfad weiterläuft, werden in 50, vielleicht auch schon 30 Jahren auch unaufschiebbar Notmaßnahmen eingeführt werden müssen, die uns jetzt noch undenkbar erscheinen. Daher müssen wir jetzt die nötigen Maßnahmen einführen, um den weiteren Anstieg der Treibhausgasemissionen in weniger als 10 Jahren zu beenden und dann rasch so weit zu senken, daß die Treibhausgaskonzentrationen nach 2030 nicht mehr steigen. Vielleicht ist es schon zu spät dafür, aber wir sollten es zumindest versucht haben.

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