Sonntag, 16. Mai 2010

Das Hartwell-Papier - was die Leugnerlobby möchte

Gwyn Prins, Isabel Galiana, Christopher Green, Reiner Grundmann, Mike Hulme, Atte Korhola, Frank Laird, Ted Nordhaus, Roger Pielke jr., Steve Rainer, Daniel Sarewitz, Michael Shellenberger, Nico Stehr und Hiroyuki Tezuka haben im Februar das im Mai publizierte Hartwell-Papier erstellt. Es ist das Ergebnis einer Konferenz von Ökonomen, Soziologen und anderen Wissenschaftlern, die von der London School of Economics einberufen wurde. Zwei der Autoren sind vom The Breakthrough-Institute, das dafür bezahlt wird, Lobbyinteressen umzusetzen, andere Autoren sind bekannt dafür, den bestehenden wissenschaftlichen Wissensstand zum Klimawandel durch indirekte Methoden in den Zweifel zu ziehen, beispielsweise Stehr und Pielke jr., Tezuka vertritt als Manager die Japanische Eisen und Stahl Vereinigung (Japan Iron and Steel Federation), und zwei Autoren haben zwar andere Arbeitgeber, sind aber außerdem auch Fellows des Breakthrough-Instituts (Laird und Pielke jr.).

Im Sinne der Geldgeber oder der politischen Vorstellungen der Autoren ist es, zu folgendem Resultat zu kommen:

  • Die wissenschaftliche Basis zum Klimawandel ist unsicher
  • Die Klimaforscher sind politisch beeinflußt und ihre Aussagen daher ideologisch zu bewerten
  • Umweltbewegungen und Umweltpolitik der Regierungen sind auf dem Rückzug
  • Gravierende Maßnahmen zur Reduktion der CO2-Emissionen sind nicht wünschenswert
  • Maßnahmen zur CO2-Reduktion sind potentiell schädlich und daher gegen die unsicheren, im politischen Raum stehenden Risiken des Klimawandels abzuwägen
  • Alternative Maßnahmen, die die Energiewirtschaft nicht treffen, sind beim Klimawandel vorzuziehen
  • Maßnahmen gegen den Klimawandel sollten nationale Maßnahmen sein, die es Unternehmen erlauben, Staaten gegeneinander auszuspielen und bei Bedarf die chinesische oder die amerikanische Karte zu spielen
  • Wir haben Zeit und sollten erst Technologien zur CO2-Reduktion entwickeln und dann erst Maßnahmen dagegen treffen

Und, wer hätte es gedacht, all das kann man in dem Bericht wiederfinden. Na, so ein Zufall...

In dem Bericht meinen die Ökonomen und Soziologen, das Kyoto-Abkommen sei gescheitert, weil es zu keinen nennenswerten Rückgängen der CO2-Emissionen gekommen sei. Das ist sehr großzügig festgestellt, da mit den USA immerhin der wichtigste Verschmutzer gar nicht mitgemacht hatte. Das dürfte wohl eher eine Rolle gespielen als strukturelle Schwachstellen, die die Autzoren als Grund angeben. Auch das Scheitern der Klimakonferenz in Kopenhagen sehen sie als strukturelles Problem in dem gewählten Ansatz, CO2-Emissionen zu begrenzen statt als politisches Problem, nach dem USA, China und Indien einfach gar kein Interesse an einer globalen Politik zur Reduktion der Treibhausgasemissionen haben. Noch schlimmer ist, daß die Autoren unterstellen, daß diese Krise zugleich im Zusammenhang mit einem Scheitern der Klimaforschung stünde, was absurd ist. Das politische Scheitern ist genau das und unabhängig von der Entwicklung im wissenschaftlichen Raum und die Wissenschaft zum Klimawandel steht überhaupt nicht in Frage - die angeblichen Skandale sind Fabrikationen, unterstützt von diversen anderen Think Tanks, die genauso ihre Rolle für ihre Auftraggeber spielen wie das Breakthrough Institut.

In der Analyse findet man ein Spiel, das in der Politik ganz wichtig ist, aber in der Wissenschaft nichts zu suchen hat. Das Spiel lautet, seien Schwächen und Fehler festzustellen und sie dann dem politischen Gegener vorzuwerfen, um damit möglichen Angriffen zuvorzukommen. Die Leugnerbewegung wird über Think Tanks vernetzt, die ihrerseits über Lobbyinteressen finanziert werden? Na, da wird doch erst mal Klimaforschern vorgeworfen, sie seien alle dafür bezahlt, daß sie eine "Klimakatastrophe" feststellen. Ein absurder Vorwurf vor allem, wenn man bedenkt, daß ein großer Teil der Forschung zum Klimawandel von US-Wissenschaftlern betrieben wurde unter US-Präsidenten, die auf engem Kuschelkurs zu US-Energieunternehmen waren. Die Leugner argumentieren vor allem politisch, oft mit dem Streben, sich gegen Steuern auf Energie und gegen staatliche Regulierung im Umweltbereich einzusetzen? Na, da wird doch erst mal den Klimaforschern vorgeworfen, daß sie Ökoideologen seien und ihre Forschung ideologisch motiviert sei. Leugner fälschen Statistiken, argumentieren abseits einer vernünftigen Datengrundlage oder können sich kaum auf fachbegutachtete Literatur berufen? Na, dann wirft man doch der Klimaforschung Datenfälschung vor, zieht die wichtigsten Einrichtungen und Forscher in dem Bereich in den Schmutz und unterstellt, daß die Fachbegutachtung nicht funktioniere, sondern nur Kumpanei unter "Parteifreunden" sei. Einiges von diesem vorsorglichen Angreifens eigener Fehler bei anderen findet man auch im Hartwell-Papier, wenn im Abschnitt II, Teil C, von der mißverstandenen Natur der Wissenschaft von Erdsystemen die Rede ist. Hier und an anderen Stellen wird ein Bild entworfen, nachdem die Klimaforschung zu ihren Urteilen käme, weil sie von einer ideologischen Basis aus arbeite. Es werde eine falsche Sicherheit zu Urteilen entworfen, die man so gar nicht bieten könne, weil das System Klima zu wenig verstanden sei. Das alles ist ein riesiger Strohmann, der dadurch aufgebaut werden kann, weil man den Vorwurf kein einziges Mal konkretisiert. In Wahrheit weiß man ja sehr genau, daß die Wirkungskette von Treibhausgasen zu globaler Erwärmung etabliert ist und auch die Klimasensitivität von 3 Grad/Verdopplung CO2-Äquivalent (+1,5/-1) inzwischen belastbar ist. Es wird eine Krise des IPCC entworfen, die so gar nicht existiert, sondern nur von Think Tanks fabriziert wird. Und wenn das IPCC als politischer Verein beschrieben wird, beschreibt man in Wahrheit Think Tanks, wie zum Beispiel das The Breaktrough Institute.

Damit haben wir bereits drei Punkte der obigen Aufzählung gefunden. Im Kapitel III finden wir den Rest. Im Zirkelschluß wird festgestellt, daß die Reduktion von CO2 als vorrangiges Ziel falsch sei, weil dieser Ansatz keine Resultate gebracht hätte. Der Ansatz hat allerdings keine Resultate gebracht, weil er von den maßgeblichen Seiten gar nicht verfolgt wurde. Diese Stellen, insbesondere die USA, haben es nicht verfolgt, weil Lobbyeinrichtungen der Energieunternehmen erfolgreich die US-Politik darauf einschwören konnten, daß ernsthafte CO2-Reduktionsmaßnahmen der US-Wirtschaft schaden würden. Wie wir alle wissen, ist ja wegen der niedrigen Steuern auf Energie die USA heute der weltweit führende Exporteur und Deutschland wegen hoher Steuern auf Energie als Exportnation gescheitert, Netto-Importeur und im Ausland hoch verschuldet. (Ironie Ende.) Soviel zum Sachverstand der Ökonomen, die ihr System so wenig verstehen, daß ich vermute, daß ihre Unterstellung, die Klimaforschung verstünde das Erdklima nicht, auch nur eine Projektion ist.

Und dank des Zirkelschlusses kommen die Ökonomen dann zu dem "überraschenden" Ergebnis, daß es falsch sei, sich als primäres Ziel CO2-Reduktionen zu setzen, sondern man erst mal andere Kliamtreiber reduzieren solle, die das IPCC - angeblich - übersehen habe. Man könnte natürlich in den Bericht der WG 1 in Kapitel 2 nachschauen, um dort eine Aufzählung der Klimatreiber zu sehen, die die Ökonomen erwähnen: FCKW und andere fluorierte Kohlenstoffverbindungen, Ozon und Rußaerosol. Alle diese Substanzen leisten in der Tat auch einen Beitrag zum Klimawandel. Aber wenn die Ökonomen behaupten, es sei eine sinnvolle Strategie, auf die Reduktion dieser Substanzen zu setzen, um den Klimawandel zu bekämpfen, dann lassen sie wichtige Fakten außer Acht:

  • Die Beiträge dieser Substanzen insgesamt sind klein im Vergleich zum Klimaantrieb von CO2.
  • Die Emissionen der FCKW und anderer fluorierter Kohlenwasserstoffe werden im Rahmen des Montreal-Protokolls sowieso reduziert. Klar sollte man das forcieren, aber das ersetzt keine der anderen Maßnahmen zum Klimaschutz.
  • Troposphärisches Ozon kann man nur begrenzt reduzieren, da global gesehen die Hälfte der Ozonkonzentration als natürlicher Hintergrundwert anzusehen ist. Reduziert wird es über die Reduktion der Emissionen der Vorläufer, und in vielen Fällen geschieht das über die Reduktion von Stickoxiden, da oft Kohlenwasserstoffe aus natürlichen Quellen im Überschuß vorhanden sind. Die Reduktion der Stickoxide erfolgte im übrigen bereits im Rahmen der Bekämpfung des sauren Regens, etwa durch die Einführung des Katalysators für Autos. Na, und jetzt dürfen alle raten, wer mal gegen die Maßnahmen gegen den sauren Regen opponierte oder heute verbreitet, das Waldsterben sei nie ein potentielles Problem gewesen, gegen das man etwas tun müsse - Beweis, der Wald sei ja nicht gestorben (weil man politisch gehandelt hatte - Großfeuerungsanlagenverordnung, TA Luft, Einführung des Katalysators, wird immer vergessen).
  • Ruß, wie auch die Vorläufer troposphärischen Ozons, sind in der Atmosphäre vergleichsweise kurzlebig. Ist erst mal der politische Wille da, diese Substanzen auf ihre natürlichen Hintergrundwerte zu reduzieren, geht das recht schnell. CO2 hingegen, einmal emittiert, kreist über 1000 Jahre zwischen Biosphäre, Atmosphäre und oberen Schichten des Meeres hin und her, und nimmt dabei nur langsam ab. Deshalb ist es Priorität Nummer 1, CO2-Emissionen zurückzufahren. Einmal emittiert, werden wir es dauerhaft nicht mehr los.
  • Nicht zuletzt entstehen Stickoxide als Ozonvorläufer und Ruß bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe. Das heißt, die Reduktion der CO2-Emissionen reduzieren automatisch auch die Emissionen von Stickoxiden und Ruß. Stattdessen wollen die Ökonomen umständlich Technologien finden, um Stickoxide und Ruß zu bekämpfen, während weiterhin Kohle, Öl und Gas verbrannt werden.
Nachdem man viele Pseudoargumente entwickelt hat, um Maßnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen zu verzögern, baut man genau diesem Vorwurf vor, indem man behauptet, daß man genau das nicht wolle. Man vertrete ja eine CO2-Steuer - aber bitte nur eine geringfügige - aus der dann Forschung für energiesparende Technologien finanziert werden solle. Und wenn dann in ferner, ferner Zukunft Technologien entwickelt sind, wie Energieunetrnehmen den gleichen Profit ohne fossile Brennstoffe erzielen können, dann, ja dann, könne dies auch zum Tragen kommen - nicht über billionenschwere staatliche Förderungen, sondern als Aktivitäten privater Unternehmen, weil es ja jetzt profitabel sei. Das sei im Interesse der vielen armen Menschen, die ja sonst über ihre Abgaben die ganze Subventionspolitik für nicht-fossile Energieträger schultern müßten. Da hatte ich dann schwerste Verständnisprobleme, weil ich als Nicht-Ökonom die anscheinend irrige Vorstellung hatte, Steuern und Abgaben würden hauptsächlich von den oberen Einkommensgruppen geleistet. Und weil die Ökonomen das halt anders sehen, stellen sie dann auch mit Pathos fest, daß ihre Politik sich an der Menschenwürde orientiere im Gegensatz zur alten Klimapolitik, die einseitig auf die Emissionsreduktion ausgerichtet sei. Anscheinend ist die Feststellung, daß der Klimawandel vor allem durch Treibhausgase bewirkt wird, daß der Klimawandel im Extremfall unsere Lebensgrundlagen zerstören wird und daher grundsätzlich eine absolute Grenze bei den Treibhausgasen besteht, die wir insgesamt emittieren können, der Menschenwürde nicht zuträglich. Man muß wohl Ökonom sein, am besten im Umfeld von Breakthrough-Institut, Heartland Institut, Cato Institut, Competitive Enterprise Institut, und so weiter, um das überzeugend zu finden.

Ich hingegen kann nur "Bingo" rufen - im Hartwell-Papier habe ich jeden Punkt gefunden, der im Interesse der Lobby der Kohle- und Ölindustrie und anderer energieintensiver Branchen war. Daher, gleich in die Altpapiertonne mit dem Papier.

1 Kommentar:

Ebel hat gesagt…

Da Ökonomie beim Klimaschutz eine große Rolle spielt und die Kompetenzfrage der Ökonomen im Raum steht möchte ich das mal unterstreichen.

Prof. Sinn in der FAZ vom 09.11.2004, S.13: Längere Arbeitszeiten als Königsweg zu Wachstum:

"Sinn plädiert für eine Ausweitung der regulären Arbeitszeiten, etwa um 10 Prozent. "Das Wachstum über Arbeitszeitverlängerung ist der Königsweg. Wir nutzen die Maschinen besser aus, und es ist ein Wachstumsschub möglich, ohne daß man mehr Kapital investieren muß. Wachstum über Arbeitszeitverlängerung ist praktisch zur Hälfte belohnt durch ein Geschenk des lieben Gottes. Es ist so, als würde man umsonst einen größeren Kapitalstock bekommen."

Ganz abgesehen, daß statt "umsonst" eher "kostenlos" gemeint ist, ist mit dem selben Argumenten besser die Arbeitszeitverkürzung zu begründen:

"Das Wachstum über Arbeitszeitverkürzung ist der Königsweg. Wir nutzen die Maschinen besser aus, weil bei verkürzter Individualarbeitszeit die Maschinen durch mehr Leute länger laufen. Damit ist ein Wachstumsschub möglich, ohne daß man mehr Kapital investieren muß. Wachstum über die Arbeitszeitverkürzung ist praktisch ganz belohnt durch ein Geschenk des lieben Gottes. Es ist so, als würde man kostenlos einen größeren Kapitalstock bekommen."

Und es kommt noch etwas hinzu, was Sinn vergessen hat: Die Mehrproduktion ist absetzbar. Wer soll denn die Mehrproduktion kaufen, wenn die Leute kein Geld haben?

Oder aus der FTD

http://www.ftd.de/politik/deutschland/:oekonomen-umfrage-teil-3-forschen-jenseits-der-aktualitaet/73162.html

Besonders überraschend wirkt dabei, dass nur ein Viertel der Befragten glaubt, dass Mathematik "sehr wichtig" für einen guten Ökonomen sei. Immerhin haben mathematische Methoden in wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen und Fachbüchern derart an Gewicht gewonnen, dass sogar der Nobelpreisträger Milton Friedman einmal kritisierte, Ökonomie sei "zu einem obskuren Zweig der Mathematik verkommen". In vielen internationalen Fachzeitschriften ist ohne Zahlenmodelle heute kein Artikel mehr zu veröffentlichen.

Mit Zahlen wird doch immer begründet, daß Klimaschutz zu teuer sei - und das sagen Leute, die kaum rechnen können???

Oder die Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96konophysik

wo die Aussage von "Ökonomen" stark verwässert ist, vorher stand:
http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=%C3%96konophysik&diff=prev&oldid=61460546

Der Großteil ökonophysikalischer Aufsätze wird immer noch in physikalischen Wissenschaftsmagazinen und von Physikern veröffentlicht. Das Gros der sog. Mainstream-Ökonomen zeigte sich unbeeindruckt durch die neuen Erkenntnisse, was aber weniger auf eine Widerlegung im wissenschaftlichen Diskurs zurückzuführen ist, als vielmehr auf ein offenes Desinteresse, das an Ignoranz grenzt. Eine Ausnahme stellt die Finanzmarkttheorie dar, die einige der ökonophysikalischen Modelle übernommen hat.

Die Nichterklärung von Zusammenhängen entspricht der Nichterklärung des Zusammenhang Babydichte und Storchendichte.

Aus analogen Beobachtungen (Baby, Störche) wurden makroökonomische Gesetze abgeleitet:
Okunsches Gesetz
Sayesches Theorem
Phillipskurve usw.
die alle den Praxistest nicht bestehen.

MfG