Sonntag, 2. Mai 2010

US-Republikaner bekämpfen die Realität - mit dem Gesetz

Der Hauptstaatsanwalt - attorney general eines US-Bundesstaates vertritt den Staat vor Gericht (üblicherweise über Vertreter) und steht der Strafverfolgung des Staates vor, vergleichbar mit einem Justizminister in Deutschland. Er wird entweder gewählt oder das Amt gehört zur politischen Beute der siegreichen Partei bei Governeurswahlen in einem US-Bundesstaat. Virgina ist ein republikanischer Staat und daher ist hier der attorney general auch ein Republikaner. Und wie insgesamt große Teile der US-Republikaner zunehmend im politischen Extremismus versinken, ist auch der Hauptstaatsanwalt von Virginia offensichtlich ein rechter Extremist der barbarischen und exterm ignoranten Sorte. Republikanischer Extremismus äußert sich darin, Brutalmarktwirtschaft und Staatsfeindlichkeit zu predigen, Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren, für einen Bibelstaat einzutreten, in dem Bibelgebote wörtlich interpretiert und in die Gesetzgebung integriert werden, außenpolitisch isolationistisch und zugleich aggressiv aufzutreten und Wissenschaft überall da zu bekämpfen, wo sie Wirtschaftsinteressen widerspricht oder zu offensichtlich andere Aussagen vertritt als in der Bibel geschrieben steht. Der Hauptstaatsanwalt von Virginia heißt Ken Cuccinelli, und hat sich gleich in den ersten Monaten einen Namen damit gemacht, daß er sein Siegel als zu anstößig empfand. Das Staatssiegel von Virginia zeigt die Göttin Virtue im Sieg über die Tyranei. Dabei entblößt das Hemd der schematisierten Figur eine Brust. Grund genug für Cuccinelli, ein neues Siegel zu entwerfen, auf dem ein Brustpanzer den Oberkörper bedeckt. Wir könnten über diese typisch amerikanische Prüderie lachen, die so gar nicht in die moderne Zeit paßt, aber auch vielen Amerikanern kommt dieser Umgang mit einem jahrhundertealten Siegel mit einem klassischen Motiv eher barbarisch vor. Da man so schon sieht, wes Geistes Kind dieser Mann ist, kann man sich vorstellen, daß er sich auch die üblichen eingebildeten Feinde der Republikaner vornimmt - Wissenschaftler, deren Aussagen Wirtschaftsinteressen stören könnten. Zum Beispiel das Interesse daran, ohne Rücksicht auf die Umwelt Öl und Kohle zu fördern und zu verbrennen - ein Multimilliardengeschäft, für das gerade mal wieder ein ganzes Ökosystem vor der Küste Lousianas geopfert wird, wo gerade eine Bohrinselhavarie zu einem gewaltigen Ölleck führte und offenbarte, wie rücksichtslos hier Ölfirmen fördern dürfen.

Ken Cuccinelli kann als Hauptstaatsanwalt Untersuchungen initiieren, wenn er den Verdacht sieht, daß Staatsgelder verschwendet werden. Das kann er als Waffe gegen mißliebige Wissenschaftler einsetzen, zum Beispiel gegen Klimaforscher wie Prof. Michael Mann von der Pennsylvania State University. 1999 bis 2005 hatte Michael Mann auch für die University of Virgina (UVa) gearbeitet und hier für verschiedene Forschungsprojekte insgesamt eine halbe Million Dollar an Drittmitteln eingeworben, genug um damit zum Beispiel zwei Doktoranden und einen Post-Doc zu beschäftigen oder für eine Arbeitskraft, eine Büroausstattung, Reisekosten und Mittel für Großrechnerkontingente. Um aus der Untersuchung wirklich eine Waffe zu machen, um Wissenschaftler mundtot zu machen, braucht man nur so vorzugehen, wie Cuccinelli. Er verlangt nämlich nicht nur sämtliche Unterlagen zu den Drittmittelanträgen, was ja im Sinne einer solchen Untersuchung verständlich wäre, sondern stellt eine praktisch unerfüllbare Liste auf, die so umfassend ist, daß damit die wissenschaftliche Arbeit in dem Bereich über Monate zum Stillstand gebracht werden könnte - was offensichtlich Ziel der Aktion ist. Wie die Forschungsmittel ausgegeben wurden, das eigentlich interessante für einen Haushälter, kommt in den Anweisungen zu der Aufforderung an die Universtät gar nicht vor. Stattdessen will der Hauptstaatsanwalt sämtliche Unterlagen, sämtlichen Verkehr - schriftlich, elektronisch oder sonstwie, mit über 40 Personen haben, dazu eine Auflistung aller inzwischen vernichteten Dokumente, mit Begründung, warum sie vernichtet wurden und einer Auflistung aller Personen, die solche Schriftstücke irgendwie gehabt oder gesehen haben könnten, die Wissen über Inhalte des Dokuments oder die Umstände der Vernichtung, Verlagerung usw. haben könnten, in Kopie oder im Original, jedenfalls bei Vorlage der Kopie sollte das Original auf Aufforderung nachgeliefert werden können. Verlangt werden Dokumente, Daten, Speichermedien oder andere Dinge, jawohl, Dinge ("things"), die irgendwie in den Bereich der Drittmittelanforderungen oder der Korrespondenz mit den über 40 genannten Personen fallen, und irgendwie von diesen "berührt" wurden, also anscheinend auch Platinen, Klopapier und was auch immer. Sogar von Lochkarten ist die Rede, was für den Zeitraum 1999 bis 2005 absurd wirkt, und die Realitätsferne der Anfrage verdeutlicht. Das Gefühl der Irrealität wird noch verstärkt durch Anforderungen der Art "Wörter im Singular sind zugleich im Plural zu interpretieren und umgekehrt" oder "der Umfang der Untersuchung beinhaltet alle Daten, Dokumente oder Dinge in Ihrem Besitz..."

Die Anfrage hat ein klares Ziel: durch ihren Umfang ihre Erfüllung unmöglich zu machen und Wissenschaftler mit so viel Arbeit zu überschwemmen, daß sie keine Forschung mehr betreiben können. Zusätzlich wird so viel Material eingesammelt, daß man, wie bei den geraubten Emails von der Climate Research Unit, darin auch Absätze aus dem Zusammenhang reißen kann, aus denen sich Vorwürfe gegen Klimaforscher konstruieren lassen, um gegen sie Stimmung zu machen. Die Botschaft an die anderer Klimaforscher ist: "Wenn ihr weiter eure Forschung betreibt und dabei Ergebnisse erzielt, die der Kohle- und Öllobby nicht genehm sind, dann werden wir euch sabotieren und schikanieren und Rechtsmittel gegen euch einsetzen." Und natürlich freut diese Entwicklung bezahlte Lügner wie Fred Singer, der gegen Geld gerne bestätigt, daß Passivrauchen unschädlich ist, das Ozonloch kein Problem und der Klimawandel nur eine Einbildung.

Das tragische dabei ist, daß die Wissenschaft hier zu einem eindeutigen Konsens gekommen ist. Der Klimawandel ist real und bedrohlich. Wissenschaftler mundtot zu machen und ihre Ergebnisse zu leugnen ändert die Realität nicht, nimmt uns aber die Mittel, auf sie zu reagieren. Und das ist weltweit gefährlich. Was die US-Republikaner da veranstalten, schadet allen, auch uns Deutschen. Über hinterwälderische Amerikaner können wir nicht lachen, weil wir von dem politischen Handeln der USA abhängig sind. Wenn der wahnsinnige Cuccinelli Wissenschaftler schikaniert, wie hier Prof. Michael Mann, dann macht er auch deutsche Innenpolitik. Die Realitätsferne und Faktenresistenz weiter Teile der amerikanischen Öffentlichkeit, Medien und Politik erklärt auch, warum die USA für den faktisch gleichen Lebensstandard wie in Deutschland doppelt so viel Energie brauchen und immer noch glauben, höhere Steuern auf Energie würden der Wirtschaft schaden, während die deutsche Autoindustrie erfolgreich der maroden amerikanischen Industrie vorführt, daß höhere Energiesteuern in Wahrheit die Wettbewerbsfähigkeit steigern.

Informationen dazu hier, und hier, ein weiterer deutscher Kommentar hier.

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