Samstag, 13. November 2010

Klimaszenarien - realistisch oder brauchbar?

Klimaprojektionen basieren auf vorgegebenen Verläufen zukünftiger Emissionen der Treibhausgase. Diese Verläufe wiederum bauen auf eine gedachte Geschichte für die Zukunft auf. Mehr oder weniger erwartetes Wirtschaftswachstum kann genauso wie mehr oder weniger Bevölkerungswachstum bedeuten, daß die Emissionen von Treibhausgasen mehr oder weniger stark steigen oder vielleicht irgendwann auch sinken. Eine solche Geschichte der Zukunft mit einem solchen Verlauf der zukünftigen Emissionen und anderer Größen nennt man ein Szenario. Können wir darauf vertrauen, daß solche Szenarien für die Projektionen, die für das IPCC berechnet wurden, realistisch sind? Ich behaupte, nein. Das war auch nie Sinn der Übung. Überlegen wir einmal, warum.



Wenn ich ein Szenario entwickele, das ganz besonders realistisch sein soll, habe ich ein Problem. Vielleicht kommt bei den Modellrechnungen, die das Szenario verwenden heraus, daß die Zukunft für die Menschen einen katastrophalen Verlauf nimmt. Dann müßte ich dafür sorgen, daß dieses Szenario nicht eintritt. Dann wäre das Szenario aber nicht länger realistisch. Ich müßte also ein anderes Szenario rechnen, in dem die Zukunft keinen katastrophalen Verlauf nimmt. Das aber würde mir wiederum die Motivation nehmen, die Vorsorge vor einem katastrophalen Verlauf zu treffen, denn diese Vorsorge würde ja Kosten verursachen. Es wird also klar, daß ich ein Szenario nicht auswähle, weil ich überzeugt davon bin, daß es eintrifft, sondern um etwas darüber zu erfahren, welche Folgen verschiedene mögliche Entscheidungen für die Zukunft haben können. Szenarien müssen also nicht realistisch sein, sondern sie müssen möglich sein, sie müssen sich stark voneinander unterscheiden und sie müssen den ganzen Raum möglicher Ereignisse abdecken. Sie müssen brauchbar sein.

Letzteres führt mich schnell in ein Dilemma. Rechnungen von Klimamodellen kosten viel Zeit - viel teure Rechenzeit auf Supercomputern insbesondere. Ich kann also nur einen begrenzten Satz an Szenarien rechnen. Kann ich damit den gesamten Raum möglicher Zukunftsverläufe berechnen? Selbst wenn ich sonst nichts weiß, hier kann ich unbesehen sofort behaupten, nein, das geht nicht. Zunächst mal erhalte ich verschiedene Resultate je nachdem, wie weit und wie schnell ich die Emissionen von CO2, Methan, von Ruß und Sulfat und von anderen Gasen verändere, wie ich die Landnutzung variiere und was ich für den zukünftigen Eintritt an Vulkanausbrüchen und vielleicht sogar an Veränderungen der Sonneneinstrahlung annehme. Ich kann mir vielleicht noch einen begrenzten Satz an kumulativen Gesamtemissionen von CO2 bis 2100 vorstellen, aber zu jeder Gesamtemission bis 2100 kann ich mir vorstellen, daß dahinter ein schneller oder langsamer Anstieg der Emissionen und danach ein schneller, langsamer oder gar kein Abfall der Emissionen steckt. Gleiches gilt für alle anderen Substanzen. Der gesamte Ereignisraum besteht aus den Produkten aller Möglichkeiten: 4 Gesamtemissionen von CO2 mal 4 vorgestellte zeitliche Verläufe von CO2-Emissionen mal 4 vorgestellte Gesamtemissionen von Sulfat mal 4 vorgestellte zeitliche Verläufe von Sulfatemissionen mal....ich glaube man bekommt eine Idee von der Zahl, auf die wir uns vorarbeiten.

Also: wir können und wollen kein besonders realistisches Szenario bestimmen und wir können auch nicht den gesamten Raum möglicher Szenarien aufspannen. Wir können nur einen kleinen Satz aussagekräftiger Szenarien festlegen. Aber was sind aussagekräftige Szenarien? Zum einen verlangen wir von den Szenarien, daß alle Veränderungen in ihnen konsistent sind. Wenn wir uns also eine Welt vorstellen mit starkem Wirtschaftswachstum und geringen Anstrengungen für den Klimaschutz würden wir annehmen, daß darin die Emissionen für CO2 stark anwachsen. Aber auch die für Methan, für Ruß und auch für Schwefeldioxid bzw. für Sulfat. Letzteres hat aber kurzfristig einen kühlenden Effekt. Die stärkste Klimawirkung hat also nicht einfach ein Szenario mit starkem Anstieg aller Emissionen, sondern ein Szenario, in dem gleichzeitig ein starkes Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum erfolgt, in dem fossile Brennstoffe weiter stark genutzt werden, in dem aber zugleich auch starke Maßnahmen zur Luftreinhaltung getroffen werden. Ist so etwas realistisch? Nein und ja. Jetzt korrelieren alle Emissionen von Substanzen aus der Industrie und Stromerzeugung stark. Aber in der Zukunft könnte diese Korrelation verloren gehen. Die wesentliche Eigenschaft der Zukunft ist ihre Unvorhersagbarkeit. Die Konsistenz der Szenarien wird bei näherem Nachdenken zu einer Scheinforderung. So verschieden politische Entwicklungen sein können, so verschieden können auch Wirtschaftswachstum und damit verbundene Emissionen sämtlicher Substanzen sein. Schon jetzt merken wir, daß zwar bei dem starken Wirtschaftswachstum in China genauso das Wachstum der CO2-Emissionen mit einem Anstieg der Aerosolerzeugung verbunden ist, wie es schon beim starken Wachstum der Wirtschaft in Europa vor 40 bis 100 Jahren der Fall war. Aber das Aerosol ist nun rußhaltiger als seinerzeit in Europa und Nordamerika. Dadurch kühlt es bei weitem nicht so stark, wie es beim euorpäischen und amerikanischem Aerosol der Fall war.

Streng genommen bräuchten wir nur ein Szenario. Was passiert, wenn wir die gegenwärtige Steigerungsrate der Verbrennung fossiler Brennstoffe beibehalten, bis alles Gas, alles Öl, alle Kohle aus dem Boden verbrannt sind? Ist das eine katastrophale Entwicklung? Wenn ja, müssen wir was tun. Und in der Tat ist es so. Die nächste Frage ist, finden wir ein Szenario, das zu einem annehmbaren Ergebnis führt?

Die IPCC-Szenarien sind nicht so aufgebaut. Vielmehr steckt hinter jedem Szenario eine Erzählung darüber, wie eine alternative Zukunft verlaufen könnten und welche Emissionen daraus resultieren. Das ist angreifbar. Zum Beispiel beinhaltet eine solche Erzählung ein deutliches Wirtschaftswachstum der Welt, an derem Ende zum Beispiel Afrikaner einen Wohlstand haben auf heutigem Niveau Europas und  Europäer ein gut doppelt so hohen Wohlstand haben. Zugleich enthält dieses Szenario aber auch ein CO2-Mischungsverhältnis, das sich gegenüber heute fast noch einmal verdoppelt, und eine globale Temperatur, die um mehr als 3 Grad ansteigt. Die Annahme über das Wirtschaftswachstum ergibt den irrigen Eindruck einer reichen Welt und die sarkastische  Frage von Klimaschutzgegnern, was denn an einer Welt solch allgemeinen Reichtums erschreckend sein sollte. Erst die Untersuchung der Klimafolgen eines solchen Szenarios ergibt dann, daß es in sich inkonsistent ist. Eine solche Welt würde einen großen Teil seines Wirtschaftswachstums gegenüber heute dafür verwenden, Menschen umzusiedeln, Nahrungsmittel zu verteilen, Schäden durch Überschwemmungen, Dürren und anderen wetterbedingte Ereignissen zu vermeiden und zu beheben. Wahrscheinlich wäre ein viel größerer Teil der Wirtschaft der Zukunft Staatswirtschaft und die ökonomische Ungleichheit viel größer. Trinkwasser, Wohnraum, Heizwärme, Fleisch oder Individualverkehr könnten am Ende eines solchen Szenarios der Gruppe A, in dem die Welt sich eher auf Wirtschaftswachstum als auf Klimaschutz konzentriert,  rationiert sein oder Luxusgüter für eine kleine Schicht extrem reicher Menschen sein. Und das macht die Szenarien für die Interpretation zu einem schwierigen Instrument. Sie sind nur ein Werkzeug für Klimamodelle, sie sagen uns aber wenig darüber, wie sich in den nächsten Jahrzehnten die Lebensbedingungen ändern werden.

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